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Preisträger Leander Jagszent

Leander Jagszent, Klasse 9, Gymnasium Carolinum Neustrelitz 

Querdenker in der Familie: 
Reden! Oder soll man es lassen?

Die Feiertage stehen vor der Tür. Die Zeit der Familie bricht an, und bisher war das für mich uneingeschränkt ein Grund zur Freude. Warum auch nicht?

Zwischen den Feiertagen zu den Großeltern, manchmal noch den Onkel und die Tante besuchen. Heile Welt mit viel Spaß und vielen Geschenken. Aber vergleichbar dem Schnee, der auf der anderen Seite der Haustür gerade die betrübliche Realität wieder freigibt, schmilzt zunehmend auch die Schneedecke, welche die Risse und Verwerfungen innerhalb der Familie während der letzten Jahre verdeckte. Deshalb kann ich dieses Jahr nicht mehr ganz so unbeschwert auf das kommende Zusammentreffen blicken. Meine Tante und ihr Partner, beide mit ihren Überzeugungen schon länger eher am Rande der Gesellschaft zu verorten, haben sich während der Corona-Zeit in ihren Positionen weiter radikalisiert und sind zu extremen Querdenkern geworden, deren Gedanken und Ansichten ich oftmals nicht mehr nachvollziehen kann. Und so ist es immer schwieriger geworden, den „Elefanten im Raum“ zu ignorieren.

Der Partner meiner Tante hat schon oft versucht, uns seine Überzeugungen zu vermitteln; damit hatten wir uns abgefunden. Viel schwerer ist es jedoch, damit umzugehen, wenn Menschen „betroffen“ sind, die einem wirklich nahestehen, wie zum Beispiel meine Tante, aber seit einiger Zeit auch meine Großeltern. Es hinterlässt mich immer noch ungläubig, dass ausgerechnet diese drei Personen, welche als äußerst lebenspraktisch zu beschreiben sind, Behauptungen wie „Corona ist doch eh nur inszeniert“, „Lass Dich nicht impfen! Im besten Fall macht Dich das nur unfruchtbar“ oder „Medien? Die verbreiten doch eh nur Lügen und die Propaganda des Staates“ von sich geben. In der Folge haben wir angefangen, bei Familientreffen politische Themen bewusst auszusparen oder großräumig zu umschiffen. Dennoch gab es immer wieder Momente, in denen man seine Liebsten nicht wiedererkannt hat. Ich habe zum Beispiel ein Gespräch zwischen meiner Mutter und meiner Tante mit angehört, in dem meine Tante mit voller Überzeugung erklärt hat, dass Russland im Recht sei, diesen Krieg zu führen und die Ukraine Genozid begangen habe. Obwohl ich wusste, dass sie längst zu den Querdenkern zu zählen war, war ich geschockt, dass sie nun auch Meldungen Glauben schenkte, die ich als russische Propaganda betrachte. Ich habe mir darüber im Nachhinein viele Gedanken gemacht und bin zu folgender Theorie gelangt:

Die Querdenker haben sich in ein gedankliches Gefängnis eingesperrt, aus dem es kein Entkommen gibt. Kein Entkommen, da sie davon ausgehen, dass jegliche Information, ob aus Medien oder der Wissenschaft, Lügen sind, die falsch informieren und manipulieren sollen, um uns zu fügsamen und systemtreuen Bürgern zu machen. Die Erklärungen der Weltgeschehnisse aus diesen so genannten „Mainstream“-Quellen werden von Vornherein als unglaubwürdig abgetan. Folglich gibt es aus diesem Gedankengefängnis keinen Weg hinaus. Es ist nicht möglich, mit rationalen Argumenten zu ihnen durchzudringen, denn ihr Gegenüber ist ja nur der mit einer ordentlichen Gehirnwäsche vom Staat. Nicht ein einziges meiner Argumente gilt in ihren Augen als gewichtig. Darüber hinaus werde ich das Gefühl nicht los, in die Schublade voller naiver und gutgläubiger „Schlafschafe“ gesteckt zu werden, die die wahre Erkenntnis noch nicht gefunden haben. 

Meinerseits möchte ich versuchen, ein derartiges Schablonendenken nicht anzuwenden, habe mich allerdings schon das eine oder andere Mal dabei ertappt. Ich muss mich selbstkritisch hinterfragen, ob ich sie vorschnell als durchgedrehte „Aluhüte“ abtue. Gleiches gilt für den Gesichtspunkt, ob ich selbst den Institutionen zu leichtfertig und unreflektiert glaube. 

Beide Seiten haben sich ausschließende Grundhaltungen gegenüber den Medien und dem Staat: Misstrauen auf der einen, Vertrauen auf der anderen Seite. Auf dieser Basis scheint es unmöglich, miteinander inhaltlich zu diskutieren und sachlich Argumente auszutauschen. Also einfach weiter versuchen, die Äußerungen zu ertragen und zu schweigen? Nein! Das kommt für mich nicht mehr in Frage. Denn Aussagen wie: „Und immer schön Scheuklappen voraus!“ (zuletzt von dem Partner meiner Tante) lassen mich mit Wut im Bauch zurück.

Das möchte ich nicht einfach weiter hinnehmen. Ebenso möchte ich durch mein Schweigen auch nicht den fälschlichen Eindruck vermitteln, ich teilte ihre Meinung. Was also tun? Eine inhaltliche Diskussion würde die Kluft weiter vertiefen, aber trotzdem möchte ich nicht mehr nur still daneben sitzen.

Dirk Walbrül, ein Autor, der sich dem so genannten konstruktiven Journalismus verschrieben hat, empfiehlt mit Blick auf dieses Dilemma auf der Internetseite Perspective Daily, man solle „dem Gegenüber signalisieren, dass man die Haltung nicht gut findet, den Menschen dennoch respektiert.“ Das erscheint mir sinnvoll, denn ich kann die Gräben nicht zuschütten, da sich die Fronten zu tief eingegraben haben. Thematisch wieder zueinander zu finden, das wirkt aussichtslos - ungefähr so realistisch, als wollte man zwei auseinanderdriftende Kontinentalplatten mit bloßen Händen aufhalten. Allerdings möchte ich die Menschen hinter diesen Aussagen ernstnehmen und respektieren, da sie mir wichtig sind und ich die Verbindung nicht abreißen lassen will. Ihre Ansichten kann ich zwar nicht teilen, aber ich merke zum einen, dass sie sich Sorgen machen und verzweifelt sind, und zum anderen, dass auch ich ihnen wichtig bin.

Deswegen gilt es, wenigstens Brücken über die Gräben bauen. Dies gelingt meiner Meinung nach aber nur, wenn ich, wie von Herrn Walbrül auf den Punkt gebracht, zwar äußere, wenn ich anderer Meinung bin, mich aber nicht auf eine inhaltliche Diskussion einlasse. Darüber hinaus möchte ich auf unverfängliche Themen umschwenken, denn Brücken lassen sich nur auf Pfeilern der emotionalen Verbindung zueinander bauen. Diese Pfeiler lassen sich hoffentlich durch gemeinsame Aktivitäten und Erlebnisse stärken, da wir immer noch eine Familie sind. Als solche wollen wir uns nicht nur aushalten, sondern viel lieber unbeschwerte Zeit miteinander verbringen. Dies gelingt aber nur, wenn wir uns gegenseitig zuhören und uns trotz unvereinbarer Meinungen respektieren. Womöglich gelingt es mir sogar, meine Sorgen und Überlegungen direkt anzusprechen.

Ich werde also zwischen den Feiertagen versuchen, wieder mehr den Menschen hinter den Aussagen zu sehen und mir in Erinnerung zu rufen, warum ich diesen so mag. Meine anfangs gestellte Frage kann ich nun beantworten: Reden? Ja, sogar mehr als vorher, aber nicht diskutieren. Reden, aber nicht diskutieren! Mit diesem Vorsatz kann ich zwar nicht in alter Unbeschwertheit dem Familienbesuch entgegenblicken, aber mit neuer Hoffnung.