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Preisträger Till-Moritz Rothe

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Till-Moritz Rothe, 12. Klasse, Gymnasium Carolinum Neustelitz
 
Kommentar zur Aussage: „Jugendliche heute: total vernetzt - total vereinsamt"

Ich erzähl dir mein Geheimnis, und auch mehr... wenn du mich likest

Wer kennt ihn nicht? Den obligatorischen Kontroilgriff nach der Hosentasche, ob  man auch ja nichts vergessen hat. Gedanklich geht man dann durch, Brieftasche Schlüssel... und vor allem das Smartphone. Es ist nicht mehr wegzudenken aus der heutigen Gesellschaft und besonders kommt dieser Trend auch voller Wuchts in den globalen Kinderstuben an. Im Auge des über diese einst so analoge Weit ziehenden Sturmes steht die neue Generation Mensch: total vernetzt. Aber auch total vereinsamt? Halten Sie sich also fest, denn wir begeben uns auf eine turbulente Reise in das World-Wide-Web.
Wie immer ist eine solche Reise mit gewissen ersten Anmerkungen zu unterbrechen. Mit einer so großen Truppe, wie ich sie jetzt führen darf, lässt sich natürlich nicht jede Station des Erlebnisparks Internet abklappern, also beschränken wir uns auf die großen Sehenswürdigkeiten. Doch genug der Unterbrechung, bon voyage!
Wenn man an die Vernetztheit der neuen Generation, also der Jugendlichen, denkt, fährt einem zuallererst das „chatten" ein. Soziale Medien, Facebook, WhatsApp und Co. Joachim Huber schrieb in seinem Artikel „Horror der Unerreichbarkeit" über das Verfließen von „Onlinesein" und „Offlinesein" bei Deutschen unter 25 Jahren. Diese Metameinung belegte er mit der U25-Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet. Diese Studie beschäftigt sich mit dem Internetverhalten von... unter 25-jährigen. So besitzen durchschnittlich 92% der Neun- bis 24-jährigen deutschen Studienteilnehmer internetfähige Medien und 70% sind täglich im Netz unterwegs. Diese Angaben stammen aus dem Jahr 2014, und schon damals war der Trend „Tendenz steigend". Laut einer anderen Studie vom Sinus-Institut liegt die Priorität im Smartphone-Nutzen dieser Altersgruppe vor allem beim Spielen und bei der Kommunikation. Oft erscheinen solche Statistiken realitätsfern. Also mal die Selbststudie: Ich hänge nun wirklich nicht oft an meinem Handy, aber täglich im Netz bin auch ich. Ich kenne in meinem gesamten Umfeld (dem schulischem) EINE Person, die überhaupt kein Mobiltelefon besitzt. Eine Person bei rund 150 Schulbekanntschaften kann theoretisch auch vernachlässigt werden. Und ich bin mir sicher, dass wenn ich alle verbleibenden 149 mit Smartphones bewaffneten Individuen um 8 Uhr anschreibe, ich spätesten 12 Stunden später von allen eine Antwort habe. Bisher klingt das alles sehr nützlich, also wo liegt das Problem?
Meine Großmama sagt immer: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und nur, weil die Porzellankiste nun digital ist, heißt das nicht, dass wir deswegen tollkühner werden dürfen. Das Problem ist also nicht, dass wir längere Zelten Im World-Wide-Web verbringen, sondern vielmehr, wie wir uns dort verhalten und welche Spuren wir hinterlassen. Denn der Ausdruck des „Web", also des Spinnennetzes kommt nicht von ungefähr. Und weil in der analogen Weit geltenden Ethiken nicht im digitalen Raum anwendbar sind (weil sie nicht durchsetzbar sind, und die etwaige Furcht vor einem wutentbrannten Diskussionspartner viel geringer ist, wenn man dessen Muskelmasse nicht sieht), kann es durchaus zu einer totalen Vereinsamung kommen. Denn wie erwähnt, was Verhaltensweisen im Internet angeht, herrscht leider ein riesiger größtenteils vogelfreies Ethikvakuum. Fallbeispiel: Ein jugendliches Mädchen entdeckt als Phase ihrer Adoleszenz die Reize von „Social Media". Die ein-zwei anfänglichen Bilder, die sie von sich „gepostet" hat, werden oft „geliket" und „geshared" (wunderbare Anglizismen) und so erlebt das Mädchen einen Aufschwung des Selbstwertgefühls. Immerhin wird es von so vielen Leuten durch „Likes" sichtlich unterstützt! Also gibt sie mehr Fotos und mehr Körper frei, man möchte ja schließlich seinen „Followern"  gefallen. Doch erzeugt sie damit nicht nur Zuspruch. Eine andere Gruppe Mädchen, vielleicht sogar von derselben Schule, haben es satt, von diesem einem Mädchen in den Schatten gedrängt zu werden. Kurzerhand schließen sich die Leidensgenossinnen zusammen und erstellen sich ein paar „Fakeaccounts", also Konten bei sozialen Medien, die eine falsche/erfundene Identität benutzen. Diese sind von Gesetz her zwar illegal, jedoch macht sich niemand die Mühe, bei den Massen an neuerstellten Konten die „guten" von den „schlechten" zu trennen, zumal von ihnen ja auch keiner auf die Hilfe von einem Schwärm Tauben zurückgreifen kann. Mit ihren falschen Identitäten und jeder Menge Elan geht die digitale Hetzjagd dann los. Eine Lüge hier, ein paar böse Kommentare dort, und zu guter Letzt noch eine saftige Verleumdung. Und et voilá: fertig ist der soziale Absturz des bis dato glücklichen Mädchens, einwandfrei zubereitet nach dem Rezept Creme de la Eifersucht. Das einzelne Mädchen könnte natürlich Anzeige erstatten, aber gegen wen? Im Internet können also all die hässlichen Seiten des Zwischenmenschlichen Miteinanders anonym prosperieren. Zurück zum Beispiel, dass arme Mädchen kann sowohl ihr Selbstbewusstsein als auch ihr Schulleben erstmal an den Nagel hängen. Total vernetzt, und deshalb auch total vereinsamt.

Aber gemäß dem Impulserhaltungsgesetz erzeugt jeder Impuls, einen genauso starken Gegenimpuls. Wenn sich auch viele junge Leute an den Stärken und Schwächen des Internets ergötzen, gibt es auch eine Gegenbewegung. Man könnte fast sagen, eine analoge Renaissance. Das behauptet zumindest eine dpa-Meldung vom 11.9.2014. Diese „digitalen Aussteiger", wie sie kurzweg getauft wurden, erquicken sich am Analogen, wie zum Beispiel der Handarbeit, Naturerlebnissen oder auch dem selbstständigen Kochen. Und es ist nicht verwunderlich, dass mehr und mehr Jugendliche einer solchen Pioniergemeinschaft liebäugeln. Rufen wir uns nur einmal das Mädchen aus dem letzten Beispiel in Erinnerung. Negative Erfahrungen erzeugen eine Rückkopplung und eine Phobie vor dem Netz. Ob nun permanenter Ausstieg oder kurähnlicher Rückzugsort, die Welt außerhalb des Internets gewinnt für die neue Generation wieder einmal an Bedeutung.
Doch einmal abgesehen von den Gegenbewegungen: selbst die Internetnutzer unter sich streben verschiedene Ziele an. Über soziale Medien haben wir in dieser Reise ja schon gesprochen, aber vor allem bei Abiturienten werden sie in den Browserdaten statt Facebook und Twitter noch etwas anderes finden. Dem Recherchegott unser heutigen Gesellschaft, Wikipedia. Diese Betitelung ist vor allem in der Jugend häufig aufzufinden. Die Nutzung des Internets differenziert sich nach Verbraucher. Wer beispielsweise auf ein medizintüchtiges Abitur zu büffelt, wird sich in seiner allzu knappen Freizeit sicher nicht mit Bagatellen abgeben, auf die man in sozialen Medien doch teils so abfährt.
Und so kommen wir langsam aber sicher am Ende unser heutigen Rundfahrt an. Doch bevor Sie den gedachten Reisebus verlassen dürfen, müssen Sie, denn so gehört es sich, den Reiseführer noch seine letzten Worte an Sie richten lassen. Was konnten wir also lernen, ist die heutige Jugend zwar total vernetzt, aber deshalb auch total vereinsamt?

Herbert Grönemeyer veröffentlichte 1994 das Album „Chaos", und darin das Lied „Grönland", und meines Erachtens nach, fasst ein Teil dieses Liedes schön die heutige Internetmentalität der Jugendlichen zusammen: „Komm wir greifen nach den Sternen, Stück für Stück, nach und nach, ich erzähl dir mein Geheimnis, und auch mehr, wenn du mich fragst." Viele Jugendliche befinden sich auf einem digitalen Ikarusflug, indem sie schnell ihre eigene Sicherheit vergessen, nur weil sie von der scheinbaren Brillanz des Konglomerats an Möglichkeiten geblendet werden. Es wäre unachtsam, alle Mitglieder der neuen Generation über einen Kamm zu scheren und sich auf eine eindeutige Antwort wie „Ja" oder „Nein" auf die Frage „Total vernetzt, total vereinsamt?" zu beschränken. Das würde den schieren Ausmaßen an Nutzungsmöglichkeiten und Individuen des World-Wide-Web einfach nicht gerecht werden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch eine angenehme Heimreise