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Fördernde Anerkennug für Scarlett Gebauer

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Scarlett Gebauer, Klasse 10, Gymnasialzweig der Kooperativen Gesamtschule Friedland

Mein Traum


Da sind sie wieder, diese schönen Klänge. Ich möchte sie greifen. Ich möchte sie festhalten. Ich möchte auch so spielen. Ich möchte leben. Ich möchte durch sie leben. Sie halten mich am Leben. Diese Kompositionen in meinem Kopf. Ich möchte, dass auch andere sie hören können. Ich möchte anderen damit eine Freude bereiten. Ich möchte nur einmal nicht weinen müsse, wenn die sanften Klänge von unten zu mir hier oben dringen. Ich möchte einmal einen Ton erzeugen können. Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann keinen einzigen Ton von mir geben. Ich kann nicht leben. Ich bin gefesselt an ein Bett. Ich bin dazu verdammt, ein gelähmter Krüppel zu sein. Mein Herz schlägt. Meine Brust hebt und senkt sich von ganz allein. Aber ich lebe nicht. Ich vegetiere vor mich hin. Sinnlos.
Ich warte immer darauf, dass unten jemand diese schönen Töne erzeugt. Es sind immer exakt die selben. Manchmal höre ich, wie eine Stimme Namen nennt. Sie sagt zum Beispiel: Mozart, Beethoven, Haydn, Händel, Chopin. Und sie sagt auch etwas von Konzerten. Ich weiß nicht, was damit gemeint ist, aber ich weiß, dass danach immer diese schönen Klänge ertönen.
Wenn ich schlafe, habe ich immer diesen einen Traum: Immer ist alles ruhig. Dann ist da immer eine Bühne. Und immer steht auf ihr ein großer, schwarzer Konzertflügel, mit einem offenstehenden Deckel, Hämmerchen, Saiten und schwarzen und weißen Tasten. Noten fehlen gänzlich. Dann stehe ich genau vor meinem Heiligtum. Es ist groß und es flößt mir Angst ein. Aber irgendwie beunruhigt mich seine Anwesenheit aufs Angenehmste. Ich setzte mich auf die schöne, schwarze, mit Leder bezogene Bank, die vor meinem Leben steht. Vorsichtig lege ich meine Hände auf die kalten Tasten. Ich fange zu spielen an. Ich lebe. Meine Finger beherrschen die Musik. Jeder einzelne Ton dringt in mich ein, füllt mich ganz und gar aus, lässt die Grenzen meines Körpers hinter sich und vereint mich mit der Musik. Jeder einzelne Ton lässt alle Fasern meines sonst so kranken Körpers, meines Ichs gesund sein und eins mit dem Leben, mit mir, mit der Musik sein. Jeder einzelne Ton nimmt mich mit, tröstet mich, ermuntert mich, lacht mit mir, versteht mich, ermutigt mich, schäkert mit mir, tanzt mit mir, teilt mit mir, lebt mit mir. Und ich mit ihm. Ich spiele, lebe die ganze Nacht lang. Wenn ich aufhöre, glühen die Tasten. Und immer werde ich wach, weil alles um mich herum nass ist. Ich habe wieder im Schlaf geweint. Und meine Welt ist zerplatzt. Mein Leben. Das tut es immer. Und immer tut es so weh.
Ich frage mich, wie lange dieser Traum noch halten wird. Mein Traum von mir als Pianistin an meinem großen, schönen, schwarzen, geliebten Ungetüm. Von meinem Konzert.